Kosmische Strahlung: Durchbruch dank Künstlicher Intelligenz

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(Foto: Steven Saffi /Pierre-Auger-Kollaboration)

KI „erkennt“ die Masse der energiereichsten Teilchen der kosmischen Strahlung

Der Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) macht vielen Menschen Angst. Denn ihre, dem menschlichen Gehirn nachempfundenen, neuronalen Netze sind so komplex, dass sie selbst von Experten nicht verstanden werden. Das Risiko der Anwendung undurchsichtiger Algorithmen ist allerdings für die Gesellschaft unterschiedlich hoch. Während KI über die Sozialen Medien bei demokratischen Wahlen großen Schaden anrichten kann, führt sie in der Astrophysik schlimmstenfalls zu einer fehlerhaften Sicht auf den Kosmos, sagt Dr. Jonas Glombitza vom Erlangen Centre for Astroparticle Physics (ECAP) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU).

Anfängliche Vorurteile

Der Astrophysiker nutzt KI als Analyse-Katalysator für Daten eines Observatoriums, mit dem die kosmische Strahlung erforscht wird. „Die Ergebnisse legen nahe, dass es sich bei den energiereichsten Teilchen, die auf die Erde treffen, meist nicht um Protonen, sondern um deutlich schwerere Kerne wie Stickstoff- oder Eisenatome handelt“, so Jonas Glombitza. Seine Analyse, die kürzlich in den Physical Review Letters veröffentlicht wurde, ist erst die zweite in der Astroteilchenphysik, bei der maschinelles Lernen (ML) zum Einsatz kam.

Dr. Jonas Glombitza, Mitarbeiter am Lehrstuhl für Physik. (Bild: FAU/Matthias Orgeldinger)

„Ich fand den Einsatz maschinellen Lernens in der Astrophysik faszinierend“, sagt Glombitza. 2017 beginnt er an der RWTH Aachen mit der Programmierung von ML-Tools, 2022 wechselt er zur FAU, 2025 bekommt er den ETI-Award, eine Talentförderung der Universität. Den Begriff „Künstliche Intelligenz“ verwendet der promovierte Physiker nur ungern, da er unterschiedlich definiert und kontrovers diskutiert wird. Doch auch von den Vorteilen des leichter zu vermittelnden „maschinellen Lernens“ konnte Glombitza seine Kollegen anfangs nur schwer überzeugen, weil in großen Teilen eine Black Box dahinter steht. Als die KI-Ergebnisse mit den Teleskopbeobachtungen verifiziert werden konnten, gelang der Durchbruch.

Strahlung aus fremden Galaxien

Die ultrahochenergetische kosmische Strahlung stammt vermutlich aus Galaxien jenseits der Milchstraße. Sie besteht aus Atomkernen mit einer Ladung von 1018  bis 1020 Elektronenvolt und verfügt damit über die energiereichsten Teilchen, die in der Natur vorkommen. Beim Eintritt in die Erdatmosphäre wechselwirken diese Primärteilchen und lösen einen Luftschauer aus, eine Kaskade unzähliger kleinerer Partikel wie Elektronen, Positronen, Photonen und Myonen. Einige werden von der Atmosphäre absorbiert, andere erreichen im Umkreis von mehreren Quadratkilometern die Erdoberfläche. Im Zuge der Wechselwirkung zwischen der Teilchenkaskade und den Stickstoffmolekülen der Atmosphäre entsteht Fluoreszenzlicht, das von spezialisierten Teleskopen gemessen werden kann, wie dem Pierre-Auger-Obervatorium, der weltweit größten Anlage zur Erforschung der kosmischen Strahlung.

„Die Messungen dort laufen seit 15 Jahren“, sagt Glombitza. Nach unseren Erkenntnissen zur Entstehung von Atomen können die Primärteilchen der ultrahochenergetischen kosmischen Strahlung aus allen Elementen von Wasserstoff bis zu Eisen bestehen. Wegen seiner großen Masse kann ein Eisenatom beim Eintritt in die Erdatmosphäre eine viel komplexere Teilchenkaskade erzeugen als ein einzelnes Proton. Die größte Teilchenanzahl des Schauers, welche ein maximales Fluoreszenzlicht erzeugt, zeigt sich daher schon in einer größeren Entfernung zur Erdoberfläche. Dagegen kann ein Primärteilchen geringerer Masse viel tiefer in die Atmosphäre eindringen, bevor sein Teilchenschauer das Lichtmaximum erreicht.

Gesamtansicht des Pierre Auger Observatoriums. (Bild: Pierre Auger Collaboration)

Mehr Informationen?

Das Pierre-Auger-Obervatorium ist die weltweit größte Anlage zur Erforschung der kosmischen Strahlung. Es nimmt eine Fläche von 3.000 km² in der argentinischen Provinz Mendoza ein. Das Fluoreszenzlicht der Teilchenschauer wird von 27 Teleskopen erfasst, die auf vier Hügeln einer Hochebene stehen. Dazwischen messen Oberflächendetektoren in 1.660 gleichmäßig angeordneten Wassertanks die Zahl und das Verteilungsmuster der auftreffenden Partikel der kosmischen Strahlung.

Nur in klaren mondlosen Nächten

Die Analyse des maximalen Fluoreszenzlichts liefert also gute Hinweise auf die Masse des Primärteilchens. Die Teleskope funktionieren jedoch nur bei klaren, mondlosen Nächten, so dass für die statistische Auswertung viel weniger Daten vorliegen als bei den Oberflächendetektoren, die rund um die Uhr arbeiten. Bisher ist es jedoch noch nicht gelungen, das Lichtmaximum des Teilchenschauers aus den komplexen Verteilungsmustern der Oberflächendetektoren zu rekonstruieren.

Diese Aufgabe erledigt nun die KI. Sie wurde trainiert, um unzählige simulierte Teilchenschauer zu rekonstruieren, bei denen das Verteilmuster der Partikel nun Aussagen auf die Masse des Primärteilchens erlaubt. Anschließend werden die Modelle mit den realen Teleskopbeobachtungen kalibriert. Somit können die Daten der Oberflächendetektoren von 60.000 Teilchenschauern für die Masseschätzung verwendet werden. „Um die gleichen Ergebnisse ohne KI zu bekommen, hätten wir 150 Jahre mit den Teleskopen beobachten müssen. Das ist der Durchbruch, der mir gelungen ist“, sagt Glombitza.

Podcast:

„KI und die energiereichsten Teilchen der kosmischen Strahlung“

(Der Podcast wurde mithilfe von KI generiert)

Weitere Informationen:

Kontakt:

Dr. Jonas Glombitza
Erlangen Centre for Astroparticle Physics (ECAP)
jonas.glombitza@fau.de