Engagement für und mit Migrantinnen und Migranten
Geographen der FAU untersuchen, wie Integration auf dem Land durch Ehrenamt gelingen kann
Wer engagiert sich ehrenamtlich für die Integration von Migrantinnen und Migranten in ländlichen Räumen? Welchen Beitrag leisten die Zugewanderten selbst für ein lebendiges Ehrenamt auf dem Land? Mit welchen Maßnahmen lässt sich vielfältiges Engagement nachhaltig gestalten? Diesen Fragen sind Geographen der FAU im Forschungsprojekt EMILIE nachgegangen. Die Ergebnisse der vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft geförderten Studie sollen in politische Handlungsstrategien einfließen.
Die Aufnahme einer großen Zahl von Geflüchteten aus der Ukraine oder die Zuwanderung aus anderen Staaten zeigen, dass die gesellschaftliche Einbindung und soziale Teilhabe von Neuankommenden eine kontinuierliche Aufgabe für die Gesellschaft sind. „Vor allem in ländlichen Räumen spielen freiwillig Helfende dabei eine wichtige Rolle“, sagt Dr. Stefan Kordel vom Institut für Geographie der FAU. „Die Zahl derer, die sich für Migrantinnen und Migranten einsetzen, ist aber rückläufig.“
Kordel ist Leiter des Forschungsprojektes EMILIE, das vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft von Mai 2021 bis April 2024 gefördert wurde. Die Studie hatte einerseits zum Ziel, die Gründe und Rahmenbedingungen von Menschen zu erforschen, die sich auf dem Land für Migrantinnen und Migranten – unter anderem für Geflüchtete – einsetzen. „Andererseits wollten wir wissen, wie sich die Zugewanderten selbst an ihrem Wohnort engagieren und welche Erfahrungen sie dabei machen“, erklärt Kordel. Dazu wurden Gespräche mit Ehrenamtlichen in vier Landkreisen in Deutschland durchgeführt: Bernkastel-Wittlich (Rheinland-Pfalz), Dithmarschen (Schleswig-Holstein), Garmisch-Partenkirchen (Bayern) und Salzlandkreis (Sachsen-Anhalt).
Ältere, Gebildete und Zugezogene zeigen das größte Engagement
In der ersten Projektphase wurden Interviews mit 53 Personen geführt, die sich für Migrantinnen und Migranten engagieren. „Diese Personen sind vorwiegend älter, weiblich, höher gebildet und häufig selbst erst vor einiger Zeit aus anderen Teilen Deutschlands zugezogen“, erzählt Projektmitarbeiter Dr. Tobias Weidinger. Als Motivation für ihr Engagement nannten die Befragten oft Neugier an Menschen, Interesse an interkulturellen Begegnungen, eine altruistische Grundhaltung, das Bewusstsein für die eigene Privilegiertheit oder auch Erfahrungen der eigenen Sozialisation, etwa die Erziehung durch die Eltern.
Die Beziehungen zwischen den Ehrenamtlichen und der Zielgruppe sei in der Regel durch Empathie und Wertschätzung geprägt, sagt Weidinger. „Welche Art der Beziehung sich entwickelt, ist stark von der Zeit abhängig, die man miteinander verbringt. Aus Helferkreisen entstehen häufig Patenschaftsmodelle, zum Teil auch Bekanntschaften und Freundschaften.“ Schwierig werde es, wenn die Engagierten sich überfordert fühlen oder unterschiedliche Vorstellungen über Nähe und Distanz bestehen. Nicht selten stößt die ehrenamtliche Arbeit auf Unverständnis oder Ablehnung in der Lokalbevölkerung, was bis hin zum Abbruch des Engagements führen kann.
Engagierte Neuzugewanderte sind meist jünger, männlich und gut gebildet
In der zweiten Phase haben die Wissenschaftler mit 72 Personen gesprochen, die in den vergangenen Jahren aus 29 verschiedenen Ländern nach Deutschland zugewandert sind und sich ehrenamtlich engagieren – als Sporttrainer, im Elternbeirat der Grundschule oder auch für andere Neuzugewanderte. „Engagierte mit eigener Migrationserfahrung sind jünger, eher männlich und ebenfalls gut gebildet“, erklärt Tobias Weidinger. „Die Interviews zeigen, dass Ehrenamt, wie es in Deutschland praktiziert wird, im Herkunftsland entweder nicht existent oder nicht erlaubt ist oder sich oft auf die erweiterte Familie, Nachbarschaft oder religiöse Gemeinschaft fokussiert.“
Die Beweggründe, sich am neuen, ländlichen Wohnort einzubringen, ähneln denen der Phase eins, es gibt aber zusätzliche migrationsspezifische Motive – etwa den Wunsch, durch das Engagement die eigene Teilhabe und Integration zu verbessern oder sich solidarisch mit anderen Neuzugewanderten zu zeigen. Projektleiter Stefan Kordel: „Migrantinnen und Migranten bringen Fähigkeiten und Talente in das Engagement ein, die sie anderweitig nicht oder nur schwer zur Geltung bringen können. Darunter fallen zum Beispiel Mehrsprachigkeit, aber auch IT-Kenntnisse oder berufliche Hintergründe als Lehrerin oder Eventmanager.“
Engagement als Triebkraft ländlicher Entwicklung
„Das Praktizieren der deutschen Sprache, das Knüpfen neuer Kontakte und die Aneignung lokalen Wissens erleichtern soziale Inklusion erheblich“, sagt Kordel. „Dabei hat das Engagement nicht nur positive Effekte für die Engagierten selbst, sondern auch für die Teilhabe der von ihnen betreuten Personen und die Entwicklung ländlicher Wohnorte. So können Vereine am Leben gehalten werden und sich idealerweise öffnen, aber auch neue Begegnungen geschaffen und das Zusammenleben insgesamt gestärkt werden.“
Aus den Ergebnissen des Projektes „EMILIE – Ehrenamtliches Engagement für und von Migrantinnen und Migranten in ländlichen Räumen: soziale Bedingungen, Potenziale und Aktivierungsstrategien“ haben die Forscher Handlungsempfehlungen für Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft abgeleitet, wie ehrenamtliches Engagement nachhaltig gestärkt werden kann. Dazu zählt beispielsweise ein niedrigschwelliger Einstieg durch mehrsprachige Informationen und einfache Registrierung, Engagementberatung und Talente-Checks durch Freiwilligenagenturen, Räume für den Erfahrungsaustausch, eine verlässliche Förderung und Aufwandsentschädigung, die vertrauensvolle Kommunikation mit Ämtern und Behörden und nicht zuletzt die Entlastung von Engagierten, etwa durch die Digitalisierung von Verwaltungsvorgängen.
Weitere Informationen:
Dr. Stefan Kordel
Institut für Geographie
Tel.: 09131/85-23097
stefan.kordel@fau.de