Digitaler Zwilling beschleunigt Solarforschung
Interdisziplinäres Team aus Chemie, Physik, Data Science und den Ingenieurwissenschaften nutzt KI für die Entwicklung organischer Photovoltaik
Künstliche Intelligenz soll die Suche nach dem perfekten Material für Solarmodule um den Faktor zehn beschleunigen. Daran arbeitet ein interdisziplinäres Team der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU). Die Forschenden aus der Materialwissenschaft, dem Ingenieurwesen, der Chemie und der Informatik wollen einen digitalen Zwilling implementieren, der Materialkombinationen besser charakterisiert und Hochdurchsatzexperimente schneller zum Erfolg führt. Das Konzept wurde im renommierten Fachjournal Joule vorgestellt.
Bereits heute werden an sonnigen Tagen bis zu 60 Prozent des Stroms in Deutschland durch Photovoltaik erzeugt. Das ist gut für das Klima, verbraucht aber viel Fläche. Nicht zuletzt deshalb bietet die organische, auf Kohlenstoffverbindungen basierende Photovoltaik eine wichtige Perspektive: „Organische Solarmodule können biegsam und zudem transparent sein“, erklärt Prof. Dr. Christoph J. Brabec, Professor für Materialien der Elektronik und der Energietechnologie an der FAU und Direktor am Helmholtz-Institut Erlangen-Nürnberg (HI ERN). „Sie lassen sich in Fenster und Fassaden integrieren, in Innenräumen nutzen oder auf Feldern als Überdachungen einsetzen, unter denen Pflanzen wachsen können.“ Für eine erfolgreiche Kommerzialisierung sind jedoch noch erhebliche Fortschritte nötig, zumal Anforderungen an Leistung, Langlebigkeit und Recyclingfähigkeit zum Teil miteinander konkurrieren.
Mikrostruktur mit KI optimieren
Die Leistung der Materialien hängt entscheidend von ihrer Mikrostruktur ab. Die lässt sich zwar in Computerprogrammen simulieren, die praktische Charakterisierung ist jedoch
mühsam und nicht zerstörungsfrei, was Durchbrüche verzögert. Das Forschungsteam des Profilzentrums „FAU Solar“ geht deshalb einen neuen, in der Photovoltaikforschung bislang einmaligen Weg: Die Expertinnen und Experten aus Materialwissenschaft, Ingenieurwesen, Chemie und Informatik implementieren einen sogenannten digitalen Zwilling – ein KI-gestütztes Abbild der physikalischen Analyseprozesse. „Die KI liefert uns Entscheidungsunterstützung in Echtzeit, selbst wenn die Informationen spärlich und indirekt sind“, sagt Dr. Larry Lüer, Gruppenleiter Photovoltaik-Anwendungen und Maschinelles Lernen an der FAU.
Modellrechnungen zum Erkennen von Zusammenhängen zwischen Struktur und Funktion sind oft sehr langwierig, was den Erkenntnisgewinn verlangsamt. Dagegen ist maschinelles Lernen in der Lage, die entscheidenden strukturellen Motive selbstständig zu identifizieren: Welche Komponenten und Verbindungen bringen keinen Fortschritt, welche werden dagegen zum Game-Changer? „Die KI hilft uns dabei, den gemeinsamen Deskriptor zu finden, also die charakteristische Eigenschaft all der verschiedenen getesteten Strukturen“, erklärt Lüer. „Sie lernt aus Irrtümern und Sackgassen und kann wertvolle Vorhersagen für erfolgversprechende Materialkombinationen treffen.“ Weil die Kenntnis der entscheidenden Deskriptoren die physikalische Modellierung enorm beschleunigt, sind auch Expertinnen und Experten für Festkörperberechnungen und Mathematik am Konsortium beteiligt.
Minuten statt Tage
Vom Einsatz des digitalen Zwillings erwarten die Forschenden wesentlich schnellere Durchbrüche bei der Entwicklung leistungsstarker Photovoltaikmodule. „Wie stark diese Beschleunigung ist, lässt sich nur schwer abschätzen“, sagt Christoph Brabec. „Manche Prozesse, etwa die Charakterisierung der Mikrostruktur, könnten nur noch Minuten statt Tage dauern.“ Das lasse sich zwar nicht unmittelbar auf die Entdeckung neuer Materialien und die Serienreife der Module übertragen, dennoch strebt das Team insgesamt eine um den Faktor zehn reduzierte Entwicklungszeit an. Für die ehrgeizigen Ziele Deutschlands auf dem Weg zur Klimaneutralität eine hoffnungsvolle Botschaft.
Weitere Informationen:
DOI: 10.1016/j.joule.2023.12.010 „A digital twin to overcome long-time challenges in photovoltaics”
Kontakt:
Prof. Dr. Dirk M. Guldi
dirk.guldi@fau.de
Dr. Larry Lüer
larry.lueer@fau.de