Südpol-Unterwasserteleskop entdeckt Neutrinos aus der Milchstraße
Ein neuer Blick auf unsere kosmische Heimat
Die Herkunft eines energiereichen Regens relativistischer Teilchen, der beständig auch auf unsere Erdatmosphäre einprasselt, ist eines der größten Rätsel der modernen Astroteilchenphysik. Ein internationales Team von Forscherinnen und Forschern ist diesem Rätsel auf der Spur. Mit dem IceCube-Detektor am Südpol der Erde konnten sie jetzt erstmals Neutrinos aus unserer Milchstraße nachweisen.
Mit beteiligt an der IceCube-Kollaboration: Astrophysikerinnen und Astrophysiker der FAU.
Der Anblick unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße, im Sommer von einem dunklen Standort aus, gehört für viele Menschen zu den beeindruckendsten Naturerlebnissen überhaupt. Schon mit dem bloßen Auge vermittelt das sich über den Himmel erstreckende, schwach leuchtende und von Dunkelwolken durchsetzte Sternenband einen Eindruck der vielen Milliarden Sterne, die unsere kosmische Heimat bevölkern.
Auch wenn die Menschheit erst in der Neuzeit die Struktur unserer Galaxie enträtseln konnte, so ist doch der Anblick der Milchstraße im sichtbaren Licht seit dem Altertum ein Teil unseres Naturerbes. Mit dem IceCube Neutrino-Observatorium konnten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun zum ersten Mal ein Bild der Milchstraße mit Hilfe von Neutrinos erstellen – sehr durchdringenden Elementarteilchen, die Zeugnis von extrem energiereichen Vorgängen ablegen.
Ihre Ergebnisse haben sie nun im Fachmagazin Science veröffentlicht.
„Faszinierend ist, dass – ganz anders als im elektromagnetischen Spektrum, also bei Licht verschiedener Wellenlängen – im Regime der Neutrinos das ferne Universum unsere unmittelbare kosmische Nachbarschaft weit überstrahlt. Um unsere eigene Galaxie zu entdecken, war daher die Zusammenarbeit vieler herausragender Forscherpersönlichkeiten über alle Grenzen hinweg notwendig“, sagt Francis Halzen, Professor an der University of Wisconsin in Madison, und Principal Investigator von IceCube.
Neutrino-Botschafter aus anderen Galaxien
Die Energie der nun von IceCube nachgewiesenen Neutrinos ist allerdings Millionen bis Milliarden mal größer als die Energie des stetigen Stroms solcher Teilchen, der uns aus Kernfusionsreaktionen im Kern unserer Sonne erreicht. Die nun nachgewiesenen Neutrinos stammen also ganz offensichtlich nicht aus den Sternen der Milchstraße selbst, sondern eröffnen uns einen Blick auf extrem energiereiche Teilchen – die sogenannte kosmische Strahlung – die den Raum zwischen den Sternen durchdringt, und auch beständig auf die Atmosphäre unserer Erde einprasselt.
Von der Amundsen-Scott-Südpolstation aus betrieben, umfasst der IceCube Detektor einen Kubikkilometer antarktisches Eis, in das über 5.000 lichtempfindliche Sensoren eingebracht wurden.
Zwar durchdringen fast alle Neutrinos die Materie um uns herum fast ungehindert, aber ab und an wechselwirkt dann doch ein solches kosmisches Neutrino nach seiner langen Reise durch das Universum in oder in der Nachbarschaft des instrumentierten Eisvolumens. Dann können geladene Elementarteilchen, zum Beispiel Elektronen, entstehen, die in weiterer Folge kurze Lichtblitze im hochtransparenten Eis auslösen, und so das Neutrino und seine ungefähre Herkunft verraten.
Auf Grund von Beobachtungen der kosmischen Strahlung, und auch extrem energiereicher Photonen – der Gammastrahlung – aus der Milchstraße wurde bereits vorhergesagt, dass sich aus dem Band der Milchstraße auch Neutrinos nachweisen lassen sollten, denn diese entstehen fast unweigerlich bei der Wechselwirkung energiereicher Protonen und anderer Atomkerne zum Beispiel mit dem Gas und Staub im Raum zwischen den Sternen.
Durchbruch für Neutrino-Forschung dank KI
Allerdings stellte sich auch heraus, dass unsere Milchstraße keine extrem starke Neutrinoquelle ist, sondern dass es im Gegenteil viele große Hürden gab, bevor das schwache Signal aus allen Untergründen herausgeschält werden konnte.
Um diese Hürden zu überwinden, begannen Forscherinnen und Forscher an der Drexel University (USA) Analysen zu entwickeln, die speziell auf sogenannte „Kaskaden“-Ereignisse im Eis abzielen, bei denen die Energie des ursprünglichen Neutrinos in einer relativ kompakten und annähernd kugelförmigen Region deponiert wird. Da der Untergrund solcher Ereignisse zum Beispiel durch Wechselwirkungen in unserer eigenen Atmosphäre relativ gut beschrieben werden kann, führte diese Auswahl zu einer effektiv höheren Empfindlichkeit für die begehrten Milchstraßen-Neutrinos.
Das allein war allerdings noch nicht ausreichend für den ersten Neutrino-Blick der Menschheit auf unsere eigene Heimatgalaxie. Der endgültige Durchbruch gelang erst durch die Anwendung von Methoden des maschinellen Lernens, die an der TU Dortmund entwickelt wurden, und die die Identifizierung der von Neutrinos erzeugten Kaskaden sowie die Rekonstruktion ihrer Richtung und Energie deutlich verbesserten.
„Die Entwicklung neuer Methoden ermöglichte es uns, eine Größenordnung mehr Neutrino-Ereignisse, und diese auch noch mit besserer Rekonstruktion ihrer Herkunfts-Richtung zu erhalten, was im Endeffekt dazu führte, dass wir die Empfindlichkeit von IceCube um einen Faktor drei im Vergleich zu früheren Suchen steigern konnten“, sagt IceCube-Mitglied Mirco Hünnefeld, der einer der leitenden Analysatoren für diesen Datensatz war und an der TU Dortmund promoviert.
60.000 Neutrino-Beobachtungen aus 10 Jahren untersucht
Der in der Studie verwendete Datensatz umfasste rund 60.000 Neutrinos aus 10 Jahren IceCube-Beobachtungen. Das sind rund 30mal so viele Ereignisse wie die Auswahl, die in einer früheren Analyse der galaktischen Ebene unter Verwendung von Kaskaden-Ereignissen herangezogen wurde. Die nun nachgewiesenen Neutrino-Ereignisse wurden mit zuvor veröffentlichten Vorhersagekarten von Regionen am Himmel verglichen, aus denen man besonders viele galaktische Neutrinos erwartete.
Der nächste Schritt besteht nun darin, einzelne Neutrino-Quellen innerhalb der Milchstraße direkt zu identifizieren.
Diese und andere Fragen werden in bereits geplanten Nachfolge-Analysen von der IceCube Kollaboration untersucht. Schon jetzt ist aber klar, dass der erstmalige Nachweis hochenergetischer Neutrinos aus der Milchstraße ein völlig neues Fenster zum Studium der energiereichsten Teilchen in unserer kosmischen Umgebung öffnet, und einen bedeutenden Schritt hin zum Verständnis der Herkunft der galaktischen kosmischen Strahlung darstellt.
Die enorme Leistungsfähigkeit moderner Methoden des maschinellen Lernens bietet ein großes Zukunftspotenzial, das weitere Durchbrüche in greifbare Nähe rücken lässt.
Dieser bedeutende Schritt für die Astronomie und Astroteilchenphysik wurde erst durch die Zusammenarbeit von Forscherinnen und Forschern aus vielen verschiedenen Instituten möglich. In Deutschland umfasst diese Kooperation zehn Universitäten und die Helmholtz-Forschungszentrum DESY und KIT.
An der FAU sind am Erlangen Centre for Astroparticle Physics (ECAP) Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Prof. Dr. Claudio Kopper, Lehrstuhl für Experimentelle Astroteilchenphysik, sowie Prof. Dr. Uli Katz, Lehrstuhl für Experimentalphysik, beteiligt.
Der weitere Ausbau des IceCube-Detektors und die wissenschaftliche Auswertung der gewonnenen Daten werden ganz maßgeblich durch das Bundeswissenschaftsministerium und durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefördert.
Weitere Informationen
Prof. Dr. Claudio Kopper
Lehrstuhl für Experimentelle Astroteilchenphysik
Tel.: 09131/85-70726
claudio.kopper@fau.de
Prof. Dr. Uli Katz
Lehrstuhl für Experimentalphysik
Tel.: 09131/85-27072
uli.katz@fau.de