Gletscherbewegungen im Web verfolgen

Das Bild zeigt den Yazghilgletscher im Karakorum-Gebirge (Bild: Matthias Braun)
Yazghilgletscher im Karakorum-Gebirge (Bild: Matthias Braun)

Frei zugängliches FAU-Gletscherportal zeigt, wie schnell Gletscher fließen

Fast überall auf der Erde schwinden die Eismassen. Die Geschwindigkeit, mit der Eis ins Tal transportiert wird, ist dabei ein Indikator für den Zustand der Gletscher. Aber auch kurzfristige Beschleunigungen und Vorstöße, sogenannte „Surges“, können von großer Bedeutung sein, wenn zum Beispiel Gletscherbäche aufgestaut werden und Überflutungsgefahr entsteht. Ein Forschungsteam der FAU hat nun ein Webportal aufgebaut, das für alle Gletscher außerhalb der großen Eisschilde die Eisbewegung bestimmt, und stellt es der wissenschaftlichen Community sowie Interessierten kostenlos zur Verfügung: http://retreat.geographie.uni-erlangen.de/search.

Ob und in welchem Umfang Gletscher an Eismasse verlieren, dient als Indikator für klimatische Veränderungen. Dabei variieren die Ursachen und Prozesse, aber auch die Auswirkungen des Eisverlustes können je nach Region unterschiedlich sein. Je nach Gletschertyp – ob die Gletscher im Ozean oder Seen kalben oder auf Land enden – zeigen sich unterschiedliche räumliche Bewegungsmuster. Wenn es zu Änderungen im Massenumsatz kommt, kann sich der Eisverlust verlangsamen oder beschleunigen. Der Verlust stabilisierender Faktoren wie zum Beispiel der Entkopplung einer Gletscherzunge von einer subaquatischen Moräne, kann zu erheblichen Beschleunigungen an der Kalbungsfront führen. Um diese Mechanismen besser zu verstehen, aber auch um bessere Prognosen für den Eismassenabfluss in den Ozean und den damit verbundenen Beitrag der Gletscher zum Anstieg des Meeresspiegels genauer berechnen zu können, benötigen Forschende Informationen über die Geschwindigkeit des Eises. Diese sind auch zur Frühwarnung vor Naturgefahren bei rasch vorstoßenden Gletschern und dem häufig damit verbundenen Aufstauen von Schmelzwasserflüssen relevant, wie zum Beispiel im Karakorum-Gebirge in Südasien oder Pamir, oder auch Alaska, Grönland oder Svalbard.

FAU-Gletscherportal bereitet Daten über Gletscherbewegungen auf

Im Rahmen des Forschungsprojekts RETREAT – gefördert vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) – hat die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Matthias Braun von der Professur für Geographie (Fernerkundung und GIS) der FAU nun Satellitendaten so aufbereitet, dass sie automatisch in ein grafisch und räumlich durchsuchbares Web-Geoinformationssystem einlaufen: Unter http://retreat.geographie.uni-erlangen.de/search können die wissenschaftliche Community sowie Interessierte kostenlos auf die Informationen zugreifen.

Das Portal zeigt Zeitintervalle – Monats- sowie Jahresverläufe sind bereits aufbereitet. Zudem können die Nutzerinnen und Nutzer die Daten nicht nur herunterladen. Über ein integriertes Analyse-Tool können sie Daten auch auf bestimmte Parameter hin prüfen. Neben Angeboten der NASA und des amerikanischen National Snow and Ice Data Center, die aber wegen ihrer optischen Verfahren in den Wintermonaten weniger Daten liefern, ist das FAU-Gletscherportal eines von wenigen Portalen dieser Art weltweit.

 „Ungehobene Schätze“: Mehr als 450 Terabyte Satellitendaten werden ausgewertet

Das Webportal möglich gemacht haben moderne Erdbeobachtungsinstrumente wie das Radarsystem an Bord der beiden Sentinel-1 Satelliten des europäischen COPERNICUS-Programms. Sie ermöglichen es, die Erde fast global mit der gleichen Geometrie alle sechs bis 12 Tage unabhängig von der Beleuchtungs- oder Bewölkungssituation abzudecken. Diese Daten sind seit 2014 frei verfügbar. Für die Eisgebiete außerhalb der großen polaren Eisschilde von Grönland und Antarktikas wurden so seit 2014 mehr als 450 Terabyte Satellitendaten aufgezeichnet – diese Daten sind frei verfügbar.

Um diese enormen Datenmengen zu verarbeiten, haben die FAU-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler High Performance Computing (HPC) genutzt. Sie entwickelten bestehende Algorithmen so weiter, dass sie wöchentlich vollautomatisch Eisbewegungen ableiten und in das FAU-Gletscherportal einspeisen.  „Die Daten beinhalten mit Sicherheit noch ungehobene Schätze und Informationen. Der Umfang ist so groß, dass wir uns noch nicht alle Regionen im Detail anschauen konnten“, sagt Prof. Braun. „Einige interessante Phänomene konnten wir aber schon herausarbeiten – wie zum Beispiel den zeitlichen Verlauf eines „Surges“, kurzfristige Änderungen der Bewegung und Verlagerung von Masse, die oftmals zu einem Vorstoß der Gletscherzunge führen, auf Spitzbergen.“

Funktionen des FAU-Gletscherportals werden weiter ausgebaut

Zukünftig will die Arbeitsgruppe das FAU-Gletscherportal kontinuierlich ausbauen. So arbeiten die Forschenden in einem DFG-Projekt an globalen Höhenänderungen von Gletschern. Im  Rahmen von „TAPE“, einem von der Emerging Fields Initiative der FAU geförderten Projekts, arbeiten die Geographen gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Informatik 5 (Mustererkennung) daran, Gletscherfronten besser automatisiert mit Verfahren der künstlichen Intelligenz zu kartieren. „Unsere Vision ist es, mittelfristig aus Satellitendaten zumindest für die großen polaren und Gebirgsgletscher verschiedene Zustandsgrößen abzuleiten und über einen zentralen Zugang Kolleginnen und Kollegen sowie Interessierten zugänglich zu machen“, erklärt Prof. Braun.

Referenz auf Paper in Review in Earth System Science Data: https://doi.org/10.5194/essd-2021-106

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Matthias Braun
Institut für Geographie der FAU
matthias.h.braun@fau.de