Physiker an Googles Quantencomputer beteiligt

Portrait von Prof. Dr. Michael J. Hartmann
Prof. Dr. Michael J. Hartmann vom Lehrstuhl für Theoretische Physik an der FAU. (Bild: FAU/Georg Pöhlein)

10.000 Jahre in drei Minuten

Seit mehr als 20 Jahren forschen Universitäten und große IT-Unternehmen an Computern, die Informationen nicht als Bitfolgen, sondern in Quantenzuständen speichern. Einem Forschungsteam des Internetkonzerns Google ist es nun gelungen, eine Rechenoperation mit einem Quantencomputer durchzuführen, für die der derzeit schnellste Supercomputer Tausende von Jahren benötigt hätte. Das Quantum-Supremacy-Experiment wurde in der neuesten Ausgabe des Nature-Magazin vorgestellt. Prof. Dr. Michael. J. Hartmann vom Lehrstuhl für Theoretische Physik der FAU hat an der Entwicklung des Google-Computers mitgewirkt und ist Co-Autor der Publikation. Wir haben mit ihm über die Entwicklung und künftige Anwendungsgebiete von Quantencomputern gesprochen.

Herr Prof. Hartmann, was unterscheidet Quantencomputer von herkömmlichen Rechnern?

Klassische Computer speichern Informationen als Bitfolgen, Folgen von Nullen und Einsen. Ein Quantencomputer dagegen speichert Informationen in Quantenzuständen. Seine elementare Verarbeitungseinheit, das Quantenbit oder Qubit, kann nicht nur Werte von 0 oder 1 annehmen, sondern sich für eine bestimmte Zeitspanne, die sogenannte Kohärenzzeit, gleichzeitig in beiden Zuständen befinden. Diesen Zustand nennen wir Superposition. Erst am Ende der Rechenoperation werden die Werte gemessen, die die Qubits angenommen haben. Was den Quantencomputer so überlegen macht, ist die exponenzielle Zunahme der Rechenleistung, die sich mit jedem Qubit verdoppelt. Ein Quantenchip mit 300 miteinander verschränkten Qubits kann mehr Zustände annehmen, als es Atome im Universum gibt.

Mit wie vielen Qubits arbeitet Googles neuer Quantenprozessor „Sycamore“?

Der Sycamore besteht aus einer Matrix von sechs mal neun Qubits, also insgesamt 54, wobei wir im Quantum-Supremacy-Experiment aufgrund eines Fehlers nur mit 53 Qubits arbeiten konnten. Der Prozessor kann 2⁵³, also ungefähr 10¹⁶ Bitfolgen gleichzeitig speichern – das sprengt alle Dimensionen der herkömmlichen Informationsverarbeitung. Wir haben mit diesem Chip eine zufällige Folge von quantenlogischen Operationen ausgeführt. Für 53 Qubits und mindestens 12 Zyklen dieser sogenannten Gatteroperationen konnten wir erstmals die Quantenüberlegenheit nachweisen. Das heißt, es gibt keinen klassischen Algorithmus mehr, der Bitfolgen aus dieser Verteilung in einer überschaubaren Zeit abtasten kann. Die komplexeste Rechnung, die wir ausgeführt haben, umfasste 20 Zyklen und dauerte etwa dreieinhalb Minuten. Dafür hätte ein moderner Supercomputer rund 10.000 Jahre gebraucht.

Wie lässt sich denn überprüfen, ob der Quantencomputer richtig gerechnet hat? Mit einem klassischen Rechner ist das ja nicht möglich.

Es gibt kleinere Berechnungen, die durchaus verifizierbar sind. Größere Operationen allerdings können mit klassischen Algorithmen nicht überprüft werden, das stimmt. Hier arbeiten wir mit Tendenzen, mit vorhergesagten Wahrscheinlichkeiten, welche Werte die Qubits annehmen werden. Durch millionenfache Kontrollläufe erhalten wir statistische Mittelwerte, die unsere Annahmen entweder bestätigen oder nicht. Man muss einschränkend sagen, dass die Berechnung, die wir mit Sycamore durchgeführt haben, keine Anwendung in der Praxis hat, sondern lediglich die Leistungsfähigkeit des Quantencomputers demonstrieren sollte. Für die meisten Anwendungen müssen noch wirksame Instrumente der Fehlerkorrektur entwickelt werden, denn die Fehlerrate von Quantencomputern ist wesentlich höher als die klassischer Computer.

Wie muss man sich einen Quantencomputer eigentlich vorstellen – wie einen Großrechner, der mit einem Quantenchip ausgestattet ist?

So einfach ist es leider nicht. Der Sycamore arbeitet mit supraleitenden Schaltkreisen, in denen die Ladungen und Ströme sich quantenmechanisch verhalten. Diese Schaltkreise werden durch magnetische und elektrische Felder angeregt und ändern dadurch ihren Energiezustand. Jeder Einfluss von Wärme würde hier ein Rauschen und damit Fehler produzieren, deshalb kühlen wir den Chip auf minus 273,13 °C. Das ist fast der absolute Temperaturnullpunkt. Aus diesem Grund gleicht der Quantencomputer einem Gefrierschrank – allerdings in Form eines Zylinders, der von der Decke hängt. Das zeigt natürlich zugleich, dass zwar der praktische Einsatz von Quantencomputern in Rechenzentren zu erwarten ist, wir aber nicht damit rechnen, dass jeder in zehn bis zwanzig Jahren einen Quantencomputer im Keller stehen haben wird.

Für welche Aufgaben sind Quantencomputer denn besonders prädestiniert?

Eine der großen Herausforderungen der kommenden Jahre ist in der Tat, sinnvolle Anwendungen für die enormen Rechenkapazitäten von Quantencomputern zu finden. Solche theoretischen Überlegungen zählen übrigens zu meinen Aufgaben im Google-Team. Besonders vielversprechend erscheint uns derzeit ein Einsatz in Bereichen, die gewissermaßen in der Natur des Quantencomputers liegen: Simulationen des Quantenverhaltens von Elektronen und Atomen zum Beispiel, von chemischen Reaktionen und von Materialeigenschaften. Aber auch bei Anwendungen des maschinellen Lernens und der künstlichen Intelligenz könnte der Quantencomputer seine Stärken ausspielen.

Wie kam es zu Ihrer Mitarbeit im Google-Team?

Ich beschäftige mich seit etwa zehn Jahren mit Quantensimulation und Supraleitern und habe in einem gemeinsamen Projekt mit der ETH Zürich bereits an der Entwicklung einer Qubit-Qubit-Kopplung gearbeitet. In meiner Zeit als Forschungsgruppenleiter an der TU München hatte ich 2011 erstmals Kontakt zu John Martinis, dem leitenden Hardware-Entwickler im Quantum-Supremacy-Projekt. Vor einem Jahr habe ich mich dann für eine Mitarbeit im Google-Team beworben. Ende 2019 werde ich jedoch auf meinen Lehrstuhl für Theoretische Physik an der FAU zurückkehren.

Weitere Informationen

Prof. Dr. Michael J. Hartmann
Tel.: 09131/85-28461
michael.j.hartmann@fau.de